Kommentar: In der Diesel-Krise versagt die Politik auf Kosten der Stadtmenschen und der Autofahrer. Die AfD hat das Thema für sich entdeckt. Jetzt braucht es einen Durchbruch.
Es ist zum Mäusemelken. Schon drei Jahre sind seit Bekanntwerden des VW-Abgasbetrugs vergangen. Vor mehr als einem Jahr fand angesichts drohender Fahrverbote in deutschen Städten der erste große Dieselgipfel statt.
Und: Ist das Problem der verunreinigten Stadtluft inzwischen gelöst? Nein, mitnichten. Trotz einiger homöopathischer Maßnahmen wie Software-Updates fahren auch heute noch Millionen schmutziger Diesel auf unseren Straßen. Sogar das Versprechen von Ex-Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU), Fahrverbote zu vermeiden, war eine Seifenblase. In Hamburg gibt es sie schon, in Frankfurt und Stuttgart stehen sie bevor.
Berlin verharmlost die Folgen der Diesel-Krise
Ab Freitag unternehmen Bundesregierung und deutsche Autohersteller nun den gefühlt zehnten Versuch, ein Problem zu lösen, dessen Folgen noch immer verharmlost werden. Denn es geht nicht um kryptische Milligramm-Grenzwerte, die einzuhalten sind. Es geht um das Menschenrecht auf saubere Luft und die Gesundheit von Kindern und Erwachsenen in unseren Städten.
Renommierte Umweltmediziner wie die Augsburger Professorin Claudia Traidl-Hoffmann weisen immer wieder auf den Zusammenhang von schadstoffgetränkter Luft mit der Zunahme von Herz-Kreislauf-, Atemwegs- und Hautkrankheiten hin. Die Widerhall in der Debatte ist gering. Es kommen diejenigen häufiger zu Wort, die meinen, früher seien die Autos noch schmutziger gewesen. Stimmt auch, aber das Problem ist: Die Zahl der Motoren hat sich vervielfacht.
Umwelt-Medizinerin Traidl-Hoffmann weist auf Gefährdungen durch die Diesel-Krise hin
Fakt ist: Die Politik hat in der Diesel-Krise auf Kosten der Menschen versagt. Und zwar nicht nur zum Leidwesen der Städter. Auch die Dieselfahrer selbst sind Opfer der Unfähigkeit, einen Weg aus dem Schlamassel zu finden. Denn jeder, der sich im guten Glauben auf die Umweltfreundlichkeit vor Jahren ein Dieselauto kaufte, hat wegen des Wertverlustes Geld verloren. Viele schauen nun mit geballter Faust in der Hosentasche den Endlos-Verhandlungen von Regierung und Autoherstellern zu.
Diesel-Krise: Wo Frust sich breit macht, ist die AfD nicht weit
Wo so ein Frust sich breit macht, ist die AfD nicht weit. Es ist kein Wunder, dass die Rechtspopulisten das Thema („Ja zum Diesel!“) für sich entdeckt haben.
Auch deshalb müssen sich Bundesregierung und Industrie in den nächsten Tagen einen Ruck geben, und mit Augenmaß endlich tragfähige Lösungen anbieten.
Ob einzelne Maßnahmen wie technische Nachrüstungen, die den Stickoxidausstoß von Dieselmotoren verringern, sinnvoll sind, darüber streiten Experten schon viel zu lange. Wenn ein Effekt nachweisbar ist, gehören Umrüstungen ins Programm – und zwar ohne Kosten für die Autobesitzer. Die sind schon durch dem Wertverlust genug bestraft. Bezahlen muss grundsätzlich, wer dreckige Diesel verkauft und die Abgaswerte manipuliert hat: die Autohersteller.
Politik mit Augenmaß heißt aber auch, die Industrie nicht so stark zu belasten, dass deutsche Arbeitsplätze gefährdet werden. Deshalb gehören auch üppige Umtauschprämien in die Lösungsmappe. Investitionen in neue Technologie sind natürlich vom Grundsatz her besser als die Umrüstung alter Stinker.
Umbau und Umtauschprämien – beides ist Pflicht der Hersteller. Doch auch die Bundesregierung, die die Krise ja viel zu lang aussaß, muss einen Beitrag leisten. Ihr Job ist es, mit dem Geld der Steuerzahler eine ökologische Verkehrswende herbeizuführen. Es braucht noch mehr Anreize für Elektromobilität, zusätzliche Investitionen in einen attraktiveren Nahverkehr und eine starke Förderung der Fahrradmobilität. Der 2017 beschlossene Fonds für sauberen Verkehr war mit seinem Volumen von einer Milliarde Euro nur ein Notpflaster.