Vortrag: Clean Air Tech Day 2018 – Konferenz: Mobilität der Zukunft – Utopie Augsburg 2040. So leben wir in Zukunft.
Verehrte Damen und Herren, vermutlich bin ich der einzige Nicht-Experte, der heute zu Ihnen sprechen darf. Das ist natürlich eine Ehre. Ich bin Journalist bei der Augsburger Allgemeinen. Ich lebe im Augsburger Lechviertel. Ich fahre (mit schlechtem Gewissen) noch immer einen sieben Jahre alten Diesel-SUV der Stinker-Klasse Euro-5. Weil ich mich nicht für ein neues Auto entscheiden kann. Elektro, Hybrid, Benziner, Diesel – ich weiß nicht, was jetzt die richtige Wahl wäre.
Und während ich mir so den Kopf zerbreche, beobachte ich, wie sich die Mobilität in Augsburg und anderen Städten entwickelt. Manchmal schreibe ich auch drüber. Und ich denke, es muss was passieren. Vielleicht darf ich deshalb hier auf Clean Air Tec Day einen Impulsvortrag halten. Impuls verstehe ich als Schwung geben. Also los:
Als Journalist sehe ich die Diesel-Krise nicht nur negativ. Sie hat der nötigen Medien-Diskussion um die Mobilität der Zukunft Schwung gegeben. Ich meine sogar: Ohne Diesel-Krise wären wir heute nicht hier. Man kann übrigens wunderbar beobachten, wie die Debatte hin – und herschwappt. Zuletzt erhielt Augsburg bundesweit viel Lob für die Idee eines kostenlosen ÖPNV in der City-Zone. Und Hamburg kassierte die Prügel für unsinnige Fahrverbotszonen. Aber Vorsicht: Das kann nächste Woche ganz anders sein. So ist das mit den Medien…
In jedem Fall: Mobilität der Zukunft ist für mich eine Königsdisziplin. Wie können immer mehr Menschen mobil sein, ohne die Lebensbedingungen der anderen einzuschränken? Autofahren ohne Abgase, Nahverkehr ohne hohe Kosten, Fahrradfahren ohne Angst vor Unfällen. Wir wollen das, aber kommen nicht voran.
Warum? Ich glaube, weil keiner in den Städten den Hut auf hat und die Sache in die Hand nimmt. Wenn man etwas bewegen will, muss aber einer verantwortlich sein. Meine erste Anregung ist also: Schafft Mobilitäts-Referenten, stellt einen Verkehrs-Experten ein, der Visionen hat und die Stadt neu denkt. Und wenn es kein Referent ist, dann eben einen Koordinator. Medien wünschen sich klare Verantwortlichkeiten.
Augsburg hat einen Umweltreferenten, der sich um gute Luft kümmert. Die städtischen Verkehrsbetriebe liegen im Verantwortungsbereich der Finanzbürgermeisterin, der Straßenbau wird vom Baureferenten organisiert. Und die Autofahrer werden vom Ordnungsreferenten beaufsichtigt. Und wer hat den Clean Air Tech Day organisiert? Der persönliche Referent des Oberbürgermeisters.
Das ist Kuddelmuddel. Verstehen Sie mich nicht falsch. Die meisten Stadtminister machen einen guten Job. Doch mir fehlt ein Mister oder Misses Mobilität der Zukunft. Einer oder eine, der/die den Karren in die richtige Richtung zieht. Einer, der Schwung in die Sache bringt und dessen Foto wir auf Seite 1 der Zeitung zeigen können – wenn nichts voran geht.
Es gibt noch mehr Argumente für einen Mobilitäts-Referenten: In Augsburg gibt es einige kluge Verkehrsinitiativen. Zum Beispiel wird es bald drei automatische Fahrradparkhäuser geben. Super. Die kosten jeweils annähernd eine Million Euro. Bis zu 80 Prozent davon bezahlt der Freistaat Bayern mit Fördergeldern. Das ist clever. Aber eigentlich purer Zufall. Denn der Augsburger Oberbürgermeister Kurt Gribl, der auch Präsident des Bayerischen Städtetages ist, hat von dem Förderprogramm zufällig am Rande einer Konferenz erfahren und sofort zugeschlagen. Wäre er an dem Tag krank gewesen, dann gäbe es vielleicht keine neuen Fahrradparkhäuser. Ein Mobilitätsreferent wäre aber einer, der die Übersicht hat über alle Förderprogramme. Auf Referent Zufall wollen wir uns nicht verlassen…
Apropos Zuschüsse: Augsburg ist doch Mitglied im globalen Verbund der Resilient Cities. Das ist ein Nachhaltigkeits-Fonds, der von der Rockefeller Stiftung gefördert wird. Die vergeben derzeit Geld an Städte, die einen “Clean-Mobility-Manager” einstellen wollen. Vielleicht ist das was. Bei Fördergeldern und Zuschüssen ist Augsburg ja in der Regel findig. Siehe oben. Wer arm ist, muss ja auch pfiffig sein.
Ein letztes Argument: Der frühere Bau-Konzernchef Ignaz Walter hat der Stadt Augsburg vorgeschlagen, eine Luxus-Tiefgarage am neuen Staatstheater zu bauen. Mir hat das Angebot gut gefallen. Warum? Weil der Investor eine Debatte angeschoben hat. Die Stadt diskutierte lebhaft. Wochenlang hat die Tiefgarage die Leserbriefspalten der Augsburger Allgemeinen und die sozialen Netzwerke gefüllt. Es ging um mehr Komfort für Autofahrer (wie die einen wollten) oder noch mehr Stinkerautos, die von einer Garage angelockt werden (wie andere befürchteten). Einzelhändler fanden die Garage gut, Fahrradfahrer schossen dagegen.
Und die Politik? Es war wie so häufig: Da kommt eine Idee. Und die Parteien verziehen sich erstmal in die ideologischen Schützengräben. Es geht um Autos? Das finden Grüne und SPD grundsätzlich doof. Vor allem wenn es große Autos sind. Als er von der Garagen-Idee hörte, hat der Augsburger Grünen-Chef bei Facebook rasch eine Hasstirade gegen SUV-Fahrer abgefeuert. (Jetzt habe ich noch mehr ein schlechtes Gewissen, wenn ich ins Auto steige.)
Die Spindoktoren der Parteien haben sofort ihre Strategiemaschine angeworfen: Mit einer neuen Tiefgarage kann man keine Wahl gewinnen, aber man kann eine verlieren, sagte mir einer wolkig.
Warum ist eigentlich niemand auf die Idee gekommen, das Angebot von Ignaz Walter, in eine Garage zu investieren, mit einer Vision zu verbinden. Eine Clean Air-Garage? Die Hälfte der Parkplätze mit Ladestationen für Elektroautos, ein Fahrradverleih – mit dem Auto rein, mit dem Fahrrad wieder raus… Eine Elektroauto-Carsharing-Station und so weiter… Warum ist keiner zu ihm gegangen, um ihn zu einem anderen Standort zu motivieren, der vielleicht mehr Sinn macht? Ein Mobilitäts-Referent hätte diese Chance wohl genutzt.
Und jetzt komme ich zu meiner zweiten Anregung. Mobilität der Zukunft braucht strategische Kommunikation. Wenn die Politik ein Thema anpackt, muss sie die Menschen mitnehmen. So wie wir Medien versuchen, unsere Leser einzubinden. Vor dem Theaterumbau hat es in Augsburg einen Bürgerdialog gegeben. Damit hat man gute Erfahrungen gemacht. Der Verkehr von morgen ist ein ungleich wichtigeres Thema. Welche Mobilität wollen die Bürger? Was sind die Ziele? Eine autofreie Innenstadt oder neue Tiefgaragen? Oder beides?
Beim Projekt Augsburg City hat die Stadt vor Jahren einiges richtig gemacht. Die Kommunikation war gut. Es gab eine Vision: Weniger Autos, mehr Radler und ÖPNV. Saubere Luft, Mobilitätsdrehscheibe Königsplatz und Hauptbahnhofsumbau. Inzwischen ist die Kommunikation zum Erliegen gekommen, obwohl der Bahnhofsumbau noch läuft. Auf der Website des Projekts Augsburg City ist die aktuellste Nachricht der erfolgreiche Verlauf der Radlernacht – im Juli 2017.
Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt neu durchzustarten. Warum beginnen wir in Augsburg keinen Mobilitätsdialog, der die Städter einbindet und die Pendler, die das Geld aus dem Umland herbringen, nicht vergisst?
Nur mit Kommunikation schaffen wir es, in Augsburg größer zu denken statt nur über eine Tiefgarage zu diskutieren. Nur so laden wir pfiffige Einzelmaßnahmen wie die Fahrradgaragen, die App, die freie Parkplätze in der Maximilianstraße anzeigt und den kostenlosen ÖPNV in der City-Zone mit einem Gesamtkonzept auf. Diesel-Krise und Tiefgaragen-Vorschlag sind doch Steilvorlagen, das Thema anzupacken.
Dann habe ich noch eine letzte Anregung: Verteufeln wir das Auto nicht. Ein Gesamtkonzept braucht Grundkonsens. Ich habe manchmal den Eindruck, Autofahrer werden oft als Störenfriede gesehen. Ja, heute stinken Autos und sind laut, wenn sie fahren, entsteht Feinstaub. Aber viele Menschen lieben das Auto. Wir müssen Autofahrer motivieren, ihren Wagen nur maßvoll in der Stadt einzusetzen. Das geht nur mit besseren Angeboten statt mit Verboten.
Und wenn ich die Forschung richtig einschätze, dann könnte es dank Clean Air Tech bald möglich sein, das Auto wieder stubenrein zu kriegen. Vergangene Woche hatte ich die Gelegenheit, ein Interview mit Dieselpapst Professor Georg Wachtmeister zu führen, der hier nachher noch spricht. Das Interview erscheint am Samstag in der Augsburger Allgemeinen. Nicht zufällig lautet unser Titel-Thema “Mobilität der Zukunft”.
Zum Abschluss möchte ich mich nun an einer Augsburger Utopie versuchen. Aber Vorsicht, Sie wissen ja: Prognosen sind schwierig. Vor allem wenn sie die Zukunft betreffen:
Wir schreiben das Jahr 2040. Unendliche Weiten – gibt es nicht mehr. Augsburg hat 400.000 Einwohner. Es ist eng in der Metropole. Der neue Medizin-Campus an der Uniklinik bietet 20.000 Jobs, dem erfolgreichen Innovationspark fehlen Erweiterungsflächen. Jeder Acker ist zugebaut. Augsburg würde am Verkehr ersticken – wie München damals in den zwanziger Jahren. Wenn es nicht umgesteuert hätte.
Die ganze City ist heute eine Fuß- und Radfahrerzone. Es gibt keine Parkplätze mehr an den Straßen. Shops und Anwohner werden morgens mit E-Autos und Lastenfahrrädern beliefert. Wo Autos sinnlos stundenlang herumstanden, ist jetzt Leben. Cafes, Spielplätze, Schachbretter – Aufenthaltsqualität für Anwohner und Besucher.
Wo sind die Autos geblieben? Sie stehen unter der Erde. In dezentralen Anwohner-Parkzentren und in neuen oder sanierten, attraktiven Tiefgaragen am Cityrand. Die Augsburger Verwaltung hatte nämlich 2018 nach einigem hin und her mit renommierten Stadtplanern sowie ihren Bürgern ein Gesamtkonzept Mobilität entworfen.
Als eine der ersten Städte Deutschlands engagierte Augsburg einen Mobilitätsreferenten. Der sorgte dafür, dass die Tiefgaragen citynah am Ende der Einfallstraßen platziert werden. Im Nordosten am Leonhardsberg, wo früher ein Schandfleck stand. Ein ehemaliges Hochhaus, das am Ende nur noch als Betongerippe verwitterte. In diese Garage werden die Fahrzeuge von der Autobahnausfahrt Augsburg-Ost geleitet.
Im Nordwesten nahe des Theaters steht die zweite Garage. Sie ist der Favorit aller Besucher aus dem Nord und Westen. Die Donauwörther oder Günzburger kommen über die B17 und die Ackermannstraße. Die Gäste aus dem Osten und Südosten, die über die Friedberger Straße und die Schleifenstraße kommen, fahren noch immer in die City-Galerie.
Wer ein Parkticket gekauft hat, kann sich in der Stadt mit autonom fahrenden Elektro-Bussen weiterbewegen. Auf einer App sieht man in Echtzeit, wo die Busse gerade fahren und wann sie welche Haltestellen bedienen. Die Frequenz wird mit künstlicher Intelligenz gesteuert. Sie kann vorhersagen, wann und wo der Bedarf größer wird.
Natürlich hat man auch andere Möglichkeiten. Für wenig Geld kann jeder am Parkhaus ein E-Bike mieten und die Stadt oder die Augsburger Grünanlagen mit Zoo und Botanischem Garten per Radl zu erkunden. So macht Augsburg noch mehr Spaß.
Auch der Verkehr am Rande der City hat sich deutlich beruhigt. Die Stadt hatte den Geistesblitz, die Autobahn zwischen dem Jakobertor und dem Stadttheater stillzulegen. Bis 2024 lief der gesamte Durchgangsverkehr von Ost nach West über diese Achse Pilgerhausstraße, Leonhardsberg, Karlstraße, Grottenau. Vierspurig. Tag und Nacht. Die Karlstraße war einmal Augsburgs schmutzigste Meile.
Das war vorbei, als die Stadtverwaltung einen Tunnel baute, der von der Jakobervorstadt bis zur Ackermannstraße führte. Heute ist die Karlstraße verkehrsberuhigt – und grün.
Während die Garagen am Rande der Innenstadt Geld kosten, kommen Pendler über die P+R-Parkplätze am Stadtrand kostenlos in die City. Wer sein Auto schon in Friedberg-West, Oberhausen, Kriegshaber oder Haunstetten abstellt, bekommt ein Gratis-Ticket, um mit der Tram in die City zu fahren. Und Flugtaxis? Klar, auch Flugtaxis fliegen irgendwann von Lechhausen zum Königsplatz. Warum nicht. Man wird ja mal spinnen dürfen.
Die Augsburger Innenstadt hat durch das Konzept an Attraktivität gewonnen. Wenn man nur daran denkt, wie das historische Lechviertel früher durch Friedberger, Münchner oder Gersthofer zugeparkt war, die durch die engen Gassen kurvten, um den Anwohnern ihre wenigen Parkplätze zu klauen. Doch das sind Kriege von gestern. Man kann sich heute gar nicht mehr vorstellen, dass zwischen den wunderbaren Lechkanälen Auspuffe röhrten. Die Einzelhändler waren zunächst gegen die autofreie Innenstadt. Aber das Gesamtkonzept “Augsburg Clean Future” hatte sie 2020 überzeugt. Jetzt machen sie gute Geschäfte in einer attraktiven City. Trotz Online-Wettbewerb.
Alles gut also? Na ja. Es rumpelt noch hier und da. Aber Augsburg hat einen Anfang gemacht. Es ist eine Metropole geworden, die neben Fugger, Brecht und Renaissance für Lebensqualität steht. Die Stadt ist mit ihrer historischen Wasserwirtschaft nicht nur Unesco-Weltkulturerbe. Sie ist auch Zukunftsspot Mobilität. Die immer strengeren Grenzwerte für Kohlendioxid, Feinstaub und Stickoxide werden locker unterboten. Augsburg ist deswegen europaweit in aller Munde.
Heute, 2040, kann man sagen: Der erste Schritt wurde 2018 gemacht, als der kostenlose Nahverkehr in der City-Zone eingeführt und der erste Clean Air Tech Day veranstaltet wurde…
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