Brecht-Festival Jürgen Marks

Bert Brecht hat den dummen D-Zug-Spruch über Augsburg nie gemacht

Veröffentlicht von

Ich habe mich oft über dieses angebliche Brecht-Zitat geärgert. Sie wissen schon: „Das Beste an Augsburg…“ Ich finde, diese Stadt hat das nicht verdient. Deshalb habe ich vor zehn Jahren in der Augsburger Allgemeinen einen fiktiven Brief an Bert Brecht veröffentlicht. Für einen Auftritt beim Brecht-Festival 2016 habe ich ihn überarbeitet:

Verehrter Bert Brecht,

ich wende mich an Sie, weil Ihnen ein Ausspruch nachgesagt wird, der mir nicht einleuchten will: „Das Beste an Augsburg ist der D-Zug nach München.“ Dabei müssten Sie als Augsburger, im Lechviertel aufgewachsen, doch von Ihrer Vaterstadt begeistert sein.

Wenn man die Bücher über ihr Leben liest, dann waren Ihre jungen Jahre am Lech erfüllt von den schönsten Erlebnissen: Sie verführten liebreizende Frauen. Sie tranken, sie politisierten mit besten Freunden in Gablers Taverne – gleich neben dem Bauerntanz. Die Augsburger inspirierten Sie zu ersten Gedichten. Nicht zu vergessen: Baal, Ihr erstes Drama. Sie schrieben es in Augsburg. 

Wie konnten Sie diese Stadt also verächtlich machen? Nein. Ich glaube: Sie haben Augsburg geliebt. Leider kann ich Sie nicht befragen. Sie starben 1956 in Berlin. Nach dem Zweiten Weltkrieg dichteten Sie voll Wehmut über Ihre „Rückkehr“ in das zerstörte Augsburg:

Die Vaterstadt, wie empfängt sie mich wohl?
Vor mir kommen die Bomber. Tödliche Schwärme
Melden euch meine Rückkehr. Feuersbrünste
Gehen dem Sohn voraus.

Nehmen wir mal an, der „Sohn“ würde noch leben. Dann könnte ich Ihnen heute vorführen, wie sich aus der zerbombten Vaterstadt eine lebenswerte Großstadt entwickelt hat. Vielfach unterschätzt und manchmal selbst von den Augsburgern in übertriebener Bescheidenheit betrachtet. In dieser Stadt muss man wissen: „Passt schon“ ist die höchste Form des Lobes. Als gebürtiger Hamburger möchte ich kühn behaupten: Augsburg 2016 ist cool! Das sagt man heute so. Ich möchte Ihnen von Ihrer Heimatstadt erzählen.

Bert Brecht: Auch Münchner flüchten heute nach Augsburg

Sie ist im Aufbruch. Sie ist grün, sie pulsiert, sie ist lebenswert. Sie hat wenig Geld und macht viel daraus. Die Nörgler werden leiser, Flüchtlinge sind uns willkommen. Ihnen würde das gefallen. Auch Sie waren ja ein Migrant. Selbst Münchner verlassen heute das Dorf an der Isar. Zu teuer. Zu versnobbt, sagen sie. Sie flüchten nach Augsburg. Sie wohnen lieber zu fairen Preisen am Lech.

Ist doch klar: Wer den Siebentischwald genießt, braucht nicht durch Münchens Englischen Garten zu latschen.

Bekanntlich waren Sie ja Marxist. Augsburg haderte lange damit. Ein Irrtum. Vergessen. Heute wären Sie stolz auf die erfolgreichen Unternehmer Ihrer Stadt. Bei Kuka in Lechhausen bauen sie Roboter für die ganze Welt. Ich fürchte, Sie würden jetzt ein wortgewaltiges Drama schreiben über diese Armee der stählernen Proletarier. Titel: Der heilige Johannes der Chip-Industrie. Oder so ähnlich.

Bert Brecht: Schicken Sie die Münchner Manager-Schickeria mit dem D-Zug nach Mahagonny

Gefallen würde Ihnen die freche Sina Trinkwalder. Diese Textil-Madonna lehrt in fast jeder Talkshow scharfzüngig Politikern das Fürchten. Ihnen würde Sie sicher einen ökologisch korrekten, nachhaltig produzierten neuen Ledermantel verpassen.

Und die Münchner Manager-Schickeria? Die hätten Sie im D-Zug nach Mahagonny geschickt.

Sie werden es nicht glauben. Selbst im Fußball, Ihrer geliebten Sportart, ist Augsburg heute ein europäischer Spitzenclub. Den Schalker Stürmer Ernst Kuzorra nominierten Sie 1929 als „Künstler
des Jahres“. 

Vor ein paar Tagen sind 4.000 Augsburger mit ihrem Club an die Liverpooler Anfield Road gereist. Ihr Künstler des Jahres heißt Raoul Bobadilla. Noch eine Stunde nach dem Spiel sangen die Fans: „Augusta Vindelicorum, du bist die schönste Stadt“ Die Engländer waren beeindruckt. Ich vermute, Sie wären mittendrin gestanden.

Mit dicker Zigarre. Stolz auf das starke Augsburger Herz. Denn: Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren.

Das Augsburger Theater, dessen Aufführungen Sie einst so ätzend kritisierten, hat sich künstlerisch ebenfalls prächtig entwickelt. Die Intendanten Ulrich Peters und Juliane Votteler haben das Kulturhaus in einen gut besuchten Musentempel verwandelt. Und nun wird das Theater auch noch teuer saniert. Voraussichtlich. Die Summe nenne ich Ihnen nicht. Sie würden mir eh nicht glauben.

Doch freuen Sie sich. Das meiste Geld kommt mit dem D-Zug aus München.

Verehrter Bert Brecht, dieser dumme D-Zug-Spruch passt nicht in mein Bild von Ihnen. Deshalb habe ich einst den Augsburger Brecht-Forscher Jürgen Hillesheim befragt. Er meint, Sie haben diesen Unsinn wohl nie gesagt. Er ist Ihnen nur angedichtet worden. Vielleicht von Münchner Neidhammeln. Rotten wir es aus, diese falsche Zitat. Sagen wir lieber: München ist gut, Augsburg wird besser. Darauf rauchen wir eine Havanna.

Ihr Jürgen Marks

Kommentar hinterlassen