Der Augsburger Landrat Martin Sailer will neuer Bezirkstagspräsident werden. Vor der Wahl am nächsten Donnerstag hat er eine überraschende Koalition geschmiedet.
Martin Sailer ist kein Lautsprecher. Der Augsburger Landrat verfolgt seine Ziele leise, aber strategisch und beharrlich. Jetzt steht der CSU-Politiker kurz davor, eine wichtige Etappe seiner politischen Laufbahn zu gewinnen. Sailer wird voraussichtlich am nächsten Donnerstag zum neuen schwäbischen Bezirkstagspräsidenten gewählt.
Damit wird Sailer formal Nachfolger von Jürgen Reichert, der das Amt 15 Jahre lang ohne großes Tamtam bekleidete und gute Arbeit leistete. Doch in der schwäbischen Politik sehen manche Sailer eher in der Tradition des legendären „Schwabenherzogs“ Georg Simnacher, der dem Bezirk fast 30 Jahre von 1974 bis 2003 seinen Stempel aufgedrückt hatte. „Sailer hat das Zeug, um diese wichtige Rolle auszufüllen“, sagt der einflussreiche schwäbische CSU-Landtagsabgeordnete Alfred Sauter.
Der 48-jährige Sailer wird – wie einst Simnacher im Landkreis Günzburg – in Personalunion als Landrat und Bezirkstagspräsident wirken. Und er plant, diese Machtfülle mit Nachdruck für die Weiterentwicklung der schwäbischen Heimat zwischen dem Ries im Norden und dem Allgäu im Süden einzusetzen.
Denn das ist eine der wichtigen Aufgaben des Bezirkstages, der mit einem Haushaltsvolumen von etwa 820 Millionen Euro als Finanzriese gilt. Das meiste Geld fließt in soziale Aufgaben und die Gesundheitspflege. Die Bezirkskliniken mit mehreren Standorten in Schwaben sind ein wichtiger Versorger im Bereich der Psychiatrie. Aber der Bezirk fördert auch die Kultur und pflegt europäische Partnerschaften mit der französischen Region Mayenne und der rumänisch-ukrainischen Bukowina.
Das Thema Heimat will Martin Sailer in den Vordergrund rücken, neu definieren und dem digitalen Zeitalter entsprechend aufladen. Auch dafür braucht seine CSU-Fraktion in dem Sozialparlament eine Mehrheit. Und die hat er bei den Grünen gefunden. Sailer und die Immenstädter Bezirksrätin Barbara Holzmann haben sich am Freitag auf die erste schwarz-grüne Koalition in einem Bezirkstag verständigt. Gemeinsam verfügen CSU (13) und Grüne (6) über eine knappe Mehrheit von 19 der 36 Bezirkstagssitze. Auch die anderen Fraktionen sollen eingebunden werden. Doch Sailer waren die Grünen sehr wichtig. „Wir haben viele Gemeinsamkeiten bei Heimat und Naturschutz. Es passt gut zusammen“, meint der neue Schwabenherzog.
Barbara Holzmann bestätigt „konstruktive und wertschätzende Gespräche auf Augenhöhe“. Die Grünen-Politikerin: „Wir haben eine Verantwortungsgemeinschaft vereinbart und wollen es fünf Jahre lang gemeinsam angehen.“
Schwabenherzog Sailer: Ein Gegenentwurf zu Seehofer
Der schwarz-grün tickende Sailer ist damit in seiner Partei ein Gegenentwurf zu den Seehofers, Dobrindts oder Scheuers, die die Öko-Partei immer wieder heftig attackierten. Auch Ministerpräsident Markus Söder, dem Sailer politisch nahesteht, hat nach der Landtagswahl nur oberflächlich mit den Grünen gesprochen, die mit 17,6 Prozent zweitstärkste Partei wurden. Eigentlich war schon am Wahlabend klar, dass die Freien Wähler der Wunschpartner im Freistaat sind. „Mir wäre es lieber gewesen, wir hätten auch mit den Grünen ernsthaft verhandelt“, macht der künftig wichtigste Kommunalpolitiker in Schwaben seinen Standpunkt deutlich.
Im Bezirk kann Sailer seinen Parteifreunden nun zeigen, wie gut Schwarz-Grün funktioniert. Das Versuchslabor ist günstig gewählt: In der sozial orientierten Bezirkspolitik spielen die klassischen Streitthemen wie Flüchtlingspolitik und Polizeiaufgabengesetz keine Rolle. Bei Gesundheit, Heimat und Naturschutz sind die Schnittmengen groß.
Und auch die Grünen können ausloten, ob man mit den Schwarzen klarkommt. Bislang gibt es in Bayern in keinem der sieben Bezirkstage, in keiner größeren Kommune und in keinem der 71 Landkreise eine schwarz-grüne Koalition. Nur die schwarz-rote Augsburger Stadtregierung hat sich die Grünen ins Boot geholt, um die vorhandene Mehrheitsbasis zu verbreitern.
Schwabenherzog Sailer ist ein Stimmenkönig
Sailer selbst tritt im Bezirkstag als Stimmenkönig an. Bei der Wahl holte er mehr als 24 000 Erststimmen im Wahlkreis Augsburg-West und fast 102 000 Zweitstimmen in ganz Schwaben. Dabei half ihm seine Popularität als Augsburger Landrat. Bayernweit haben nur die oberbayerische CSU-Bezirkschefin Ilse Aigner, der dortige Bezirkstagspräsident Josef Mederer sowie Ministerpräsident Markus Söder eine höhere Stimmenzahl erreicht.
Die Rolle des Schwabenherzogs könnte für Sailer aber nur ein politisches Zwischenziel sein. Man sagt ihm nach, dass sein Ehrgeiz ihn noch weiter treibt. Schon 2003 stand der Politiker vor einem großen Sprung. Bei der Wahl zum Vorsitzenden der Jungen Union in Bayern fehlten ihm nur drei Stimmen zum Sieg.
Damals gewann ein gewisser Manfred Weber aus Niederbayern. Weber, heute CSU-Vize und Chef der konservativen Fraktion im Europaparlament, soll am Donnerstag im finnischen Helsinki zum Spitzenkandidaten der Europäischen Volkspartei für die Europawahl gekürt werden. Es ist der gleiche Tag, an dem Martin Sailer sich in Augsburg zur Wahl als Bezirkstagspräsident stellt.