Hintergrund – Zeitungen in Schweden gelten als besonders innovativ. Ein Redaktionsbesuch.
Der Newsroom des Svenska Dagbladet ist auf den ersten Blick nichts Besonderes. Die Schreibtische sind in einem Rechteck angeordnet. Überall leuchten große 24-Zoll-Bildschirme. Etwa 20 Journalisten wuseln herum. Die einen besprechen sich, andere telefonieren oder recherchieren im Internet.
Und dennoch ist dieser Newsroom anders als die „Balken“ vieler deutscher Medienhäuser. Denn es fehlt etwas: Print. Die zwei verantwortlichen Redakteure, die die Zeitung des nächsten Tages produzieren, sitzen am Rande des Raumes und tippen still in ihre Tastaturen.
Zeitungen in Schweden: Print spielt keine zentrale Rolle mehr
Fredric Karen, Chefredakteur des Svenska Dagbladet, begründet das mit einer klaren konzeptionellen Ansage. „Wir haben uns auf die digitale Reise gemacht. Print spielt für uns keine zentrale Rolle mehr. Die Sitzordnung ist auch ein Signal unseres Aufbruchs.“
Dabei ist es beeindruckend, wie konsequent das Team um Fredric Karen sich auf die digitale Reise gemacht hat. Themenbereiche wie Auto, Reise oder Kultur werden nicht mehr in der Redaktion produziert, sondern an Agenturen vergeben, die die Seiten für die Zeitung produzieren. „Nicht kriegsentscheidend“ lautet das Urteil. Die Redakteure, die sich bislang mit Auto- oder Reisethemen beschäftigten, erhielten das Angebot, künftig als Reporter zu arbeiten und wirklich relevante Geschichten zu schreiben, die natürlich zuerst digital und später auch in der Zeitung erscheinen.
„Wirklich relevant“ ist für Karen und sein Team eine Geschichte, die die Nutzer motiviert, ein Digital-Abo zu kaufen. Deswegen stehen diese Premiumthemen hinter der Paywall. Und was ist wirklich relevant? Das hat ein mehrköpfiges Daten-Team festgelegt. Sie haben über Monate Nutzerzahlen ausgewertet. Was will der Leser? Wie lange nutzt er eine Geschichte? Was sind die profilbildenden Geschichten für das Svenska Dagbladet?
Am Ende der Recherche standen vier Themenbereiche, die für die Leser besonders wichtig sind.
Im Segment „Die Welt verstehen“ erläutern Reporter die politischen Top-Themen. Wichtig ist immer die Leserperspektive: Was bedeutet die Entwicklung für den Leser? Im zweiten Bereich „Nah am Leser und dem täglichen Leben“ geht es um Genuss, Shopping, Restaurants.
“Leserinteresse” beschreibt Themen wie “Kann die Generation Snapchat unser Land verteidigen?” Oder: “Tipps und Tricks: So können Sie schon mit 40 Jahren in Ruhestand gehen”. Das sind steile Thesen. Aber es funktioniert. Das Interesse ist immens.
Auch im vierten Segment sind die Nutzerzahlen beeindruckend. Hier geht es um “Top News plus”. Jede starke Nachricht wird mit Zusatz-Geschichten im Premium-Bereich weitergedreht. Der Minister ist zurückgetreten? Wer wird der Nachfolger? Wer sind die Gewinner und Verlierer dieser Entscheidung?
Die andere große schwedische Zeitung “Dagens Nyheter” arbeitet nach ähnlichen Prinzipien. Hier gelten für Redakteure vor allem zwei Kriterien, die eine gute Geschichte ausmachen: Ist es nützlich für den Leser? Ist es emotional? Storys, die nicht unter diese Kategorien fallen, gelten als “Füller”. Das sind Themen, an denen nur wenige Leser Interesse haben. Oft Pflichtstoffe aus Vereinen und Verbänden.
Beide Zeitungen haben sich konsequent auf die digitale Zukunft ausgerichtet. Und die Zeitungen? Sie verloren bis zum Jahr 2013 jedes Jahr viele Leser. Seit Dagens Nyheter und Svenska Dagbladet aber ihre Reporter stärker datenorientiert steuern, stabilisiert sich auch die Auflage.