Kommentar: Bundesjustizminister Heiko Maas wird mit seinem Gesetzentwurf gegen digitale Hassbotschaften scheitern. Das Papier hat haarsträubende Mängel.
Man muss sich Facebook als größtes Wirtshaus der Welt vorstellen. In einer Ecke sitzen Hobbyköche, die sich Fotos ihrer Leckereien zeigen. Woanders prahlt einer mit seinen Urlaubsreisen. Hinten diskutieren Gäste über Nachrichten und Lokalpolitik. Wie im richtigen Leben.
Und dann kommt es immer irgendwo zum Streit. Die einen ärgern sich vielleicht über Lügen. Die anderen stänkern gegen Flüchtlinge oder Rechtspopulisten. An den digitalen Stammtischen wird gepöbelt und gemobbt. Es werden Grenzen überschritten. Es kommt zu Beleidigungen, Hassbotschaften und auch zu Hetze.
Bundesjustizminister Heiko Maas hat sich aufgemacht, gegen den Hass bei Facebook und anderen sozialen Netzwerken vorzugehen. Mit dem Wortungetüm Netzwerkdurchsetzungsgesetz will er die digitalen Wirte zwingen, vermeintliche Straftatbestände zu löschen. Es ist auch unumstritten, dass die Beleidigungen eingedämmt werden müssen. Doch der Gesetzentwurf ist eine juristische Handwerksarbeit von lausiger Qualität. Gleich acht von zehn Sachverständigen nannten das Papier Anfang der Woche verfassungswidrig. Für den SPD-Politiker war dies ein verdienter Schlag ins Kontor.
Hassbotschaften: Maas will von Facebook Löschungen innerhalb von 24 Stunden verlangen
Maas will von Facebook & Co. verlangen, eindeutig strafbare Inhalte binnen 24 Stunden zu entfernen. In komplizierten Fällen haben die Anbieter eine Woche lang Zeit. Bei Zuwiderhandlungen drohen Bußgelder von bis zu 50 Millionen Euro. Vor allem zwei Mängel des Entwurfs sind haarsträubend.
Problem Nummer eins: Mit den Auflagen würde Maas unfreiwillig Teile des deutschen Rechtssystems privatisieren. Wie Hilfssheriffs müssten Facebook-Leute in Windeseile entscheiden, was Recht oder Unrecht ist. In Deutschland ist das aber Aufgabe von Gerichten. Und die tun sich schwer genug. Nicht jeder hat verstanden, warum NDR-Satiriker die AfD-Frontfrau Alice Weidel als „Nazischlampe“ verunglimpfen durften, während ein Richter ZDF-Witzbold Jan Böhmermann verbot, den türkischen Präsidenten Erdogan als „Ziegenficker“ zu beleidigen. Und darüber sollen jetzt Facebook-Mitarbeiter entscheiden? Nein.
Damit kommt es zu Problem Nummer zwei: Träte das Gesetz in Kraft, würden die Netzwerke aus Furcht vor hohen Bußgeldern im Zweifel vieles löschen, was nur in die Nähe eines Straftatbestandes käme. Das wäre im Sinne der Meinungsfreiheit nicht akzeptabel.
In dieser Form wird das Gesetz gegen Hassbotschaften, das in Eile gestrickt wurde und auch in der Koalition umstritten ist, im Parlament scheitern. Alternativ sind wenige Monate vor der Bundestagswahl zwei Szenarien denkbar: Die Einigung der Fraktionen von Union und SPD auf einen kleineren gemeinsamen Nenner. Oder eine Verschiebung auf die nächste Legislaturperiode.
Hassbotschaften: Es war ein Fehler, auf die Selbstverpflichtung von Facebook zu warten
Beides ist so unbefriedigend wie der Entwurf. Denn auch in den Netzwerken müssen Menschen wirkungsvoll vor Mobbing, Hassbotschaften und Hetze geschützt werden. Aber das funktioniert nicht, wenn der Staat sich aus der Verantwortung stiehlt. Jetzt rächt sich, dass Maas zu lange abwartete und darauf setzte, dass die Netzwerke das Problem im Rahmen einer Selbstverpflichtung alleine lösen. Stattdessen hätte er mit Facebook an einer gemeinsamen Lösung arbeiten sollen, bei der Rechtsstaat und Internet-Plattformen sich bei der Verfolgung von Straftaten unterstützen.
Am Ende zeigt dieser Fall vor allem eines: Das globale digitale Treiben ist zu schnell für die analoge Welt mit ihren nationalen Regierungen und Gesetzen. Facebook ist gerade 13 Jahre alt, hat zwei Milliarden Nutzer und wächst weiter. Nationale Regierungen sind überfordert, ein digitales Wirtshaus dieser Größe zu regulieren.