Super-Gau für alle Opernkritiker: Verdis intimes Kammerstück „Rigoletto“ wird auf der Seebühne in Bregenz vor 7000 begeisterten Zuschauern gespielt. Doch dann kommt es anders.
Denn auch die meisten Experten sind begeistert. Nicht ganz so wie die Zuschauer, die nach der Premiere laut jubelten. Aber die Inszenierung von Philipp Stölzl riss auch die meisten Kritiker angemessen mit. Und das hat drei Gründe.
Erstens: Das dreiteilige Bühnenbild ist nicht nur ein Meisterwerk. Es ist gleichsam der Hauptdarsteller der Freilichtbühnen-Inszenierung. Der 13 Meter hohe Clownskopf in der Mitte wird – vollgestopft mit Technik -im Laufe des Dramas zur Totenmaske. Er verliert Augen, Nase, Zähne, bietet den artistischen Schauspielern eine spektakuläre Bühne. Die mechanischen Hände links und rechts ergänzen den Kopf virtuos.
Rigoletto in Bregenz und die Wundermaschine
Die Vorarlberger Nachrichten urteilen über die Wundermaschine: „Dieser Rigoletto hat eine neue Zeitrechnung in Sachen Bühnentechnik bei den Bregenzer Festspielen eingeläutet. Stölzl ist als ausgewiesener Grenzgänger zwischen Videoregie und Bühneninszenierungen, Werbeclips und Filmarbeiten („Der Medicus“) einfach ein Meister des massentauglichen Überwältigungsbildes. Auch für Bühne und Licht co-verantwortlich, schafft der Regisseur eine Inszenierung, die schlicht staunen macht und vom Premierenpublikum des Spiels am See einhellig umjubelt wurde. Das größte Spektakel seit Jahren.“
Und der Kritiker von BR-Klassik meint: „Stölzl hatte sich gemeinsam mit seiner Ausstatterin Heike Vollmer für seinen Rigoletto offenkundig von einem Rummelplatz inspirieren lassen, der schon bessere Tage gesehen hat. Der Lack ist ab, der Rost nagt an den Geländern, das Holz ist längst gesplittert… Ein Clownsgesicht an einem monströsen Krangestänge, das sich als ungemein beweglich und ausdruckstark erweist… Verblüffend, wie sich der Gesichtsausdruck dieser Puppe je nach Licht und Augenaufschlag verändert. Das macht richtig Effekt, und der Einfall, dieses Gesicht nach und nach zerstören zu lassen, passt ohne Zweifel zum „Rigoletto“, wo der gleichnamige Hofnarr ja vom eiskalten Zyniker zum hilflosen Opfer wird… Insgesamt ein technisch furioser „Rigoletto“, der seine 7000 Zuschauer täglich nicht enttäuschen wird.“
Rigoletto in Bregenz: Hervorragende Stimmen
Zweitens: Das Orchester der Wiener Symphoniker und die beeindruckenden Sängerinnen und Sänger, die von der Tontechnik fein ausgesteuert wurden. Natürlich ist die Akustik auf einer Seebühne eher unterdurchschnittlich. Doch die gute Tontechnik macht vieles wett.
Kritikerin Ingrid Grohe urteilt in der Augsburger Allgemeinen: „Die hervorragenden Stimmen der Vokalsolisten werden dank der ausgeklügelten Bregenzer Tontechnik fein nuanciert übertragen. Mit ihrer Dramatik und Farbigkeit könnte Verdis Komposition auch als Filmmusik funktionieren, was Stölzl ebenso zu nutzen versteht wie Dirigent Enrique Mazzola am Pult der Wiener Symphoniker. Dieser baut Klangräume, lässt Musikern und Sängern viel Zeit für intime Momente. In Schlüsselsituationen unterstreicht er Zeitlupenbewegungen der Darsteller mit starkem Ritardando, das die Szenerie auch mal zum Gemälde gefrieren lässt. Die hervorragenden Stimmen der Vokalsolisten werden dank der ausgeklügelten Bregenzer Tontechnik fein nuanciert übertragen. „
Der Standard schreibt: „…was bei der Premiere bei den drei zentralen Partien geboten wurde, war herausragend. Mehr als jede optische Zirkusnummer fesselte Mélissa Petit, deren schwebender, runder, glänzender Sopran Gildas mädchenhafte Unschuld in idealer Weise transportierte. Stephen Costello bewältigte die strapaziöse Partie des Duca di Mantua bravourös, ging nur selten ein wenig zu sehr in die Vollen und bot auch zarte Töne. Kaum Wünsche offen ließ Vladimir Stoyanov als Rigoletto, der mit seinem geschmeidigen Bariton routiniert die ganze Bandbreite der Partie von inniger Liebe bis zu Hass und Verzweiflung zum Ausdruck brachte.“
Rigoletto in Bregenz: Atemberaubende Artistik
Drittens: Die Artistik auf der Bühne macht die Oper endgültig zum Spektakel – auch wenn es manchmal übertrieben wird. Natürlich gibt es etwas viele Wasserstürze. Aber die schwindelerregenden Artistik-Szenen waren für manchen Premierengast das Salz in der Suppe und passten zum Zirkus-Ambiente.
Der Standard: „Der Zirkus ist in der Stadt! Gaukler und Artisten, Kraftkerle, Tänzerinnen und tierähnliche Wesen wirbeln über die Seebühne, die sich als bespielbare Clownskulptur aus dem malerischen Bodensee erhebt. „
BR Klassik: „Schwindelerregend, was Sänger, Stuntleute und Statisten da leisten, atemberaubend, wie Gilda hoch in der Luft baumelnd am Schwebeseil entführt wird – dafür gab´s Sonderapplaus.“
Alles in allem: ein Spektakel. Schade, dass die meisten Aufführungen auf der Seebühne bereits ausverkauft sind. Aber Restkarten gibt es. Von Augsburg und München sind es jeweils nur gut zwei Stunden an den Bodensee nach Bregenz.